Medienmitteilung zu den tibetischen Härtefallgesuchen im Kanton Bern

2020-03-03 Medienmitteilung SID Kanton Bern

Kommentar zur Medienmitteilung der Sicherheitsdirektion (SID) des Kantons Bern:

Beim Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV) arbeiten Menschen, die ihre Sache grundsätzlich gut machen und eine gute Arbeit abliefern wollen. Davon ist auszugehen. In dieser Angelegenheit machen unsere Behörden aber zu wenig und zeigen eine inakzeptable Haltung. Die SID und das ABEV wissen längst um die vielen tibetischen Asylsuchenden, die seit Jahren von Nothilfe leben, extrem verzweifelt sind und viel unternommen haben, um zu Papieren zu gelangen (Botschaftsbesuche). Wenn sie nicht in Nepal oder Indien registriert sind, erhalten sie von diesen Botschaften keine Papiere. Die chinesische Botschaft aufzusuchen, erfordert viel Mut. Zumindest erwarten unsere Behörden nicht eine freiwillige Rückkehr nach China.

Asylrecht

Gesetze wollen eingehalten werden. Die SID weist in ihrer Medienmitteilung darauf hin: «Im Vordergrund steht die prioritäre Aufgabe des Kantons im Asylrecht, nämlich die Durchführung des Vollzugs der Wegweisung der Person aufgrund des negativen Asylentscheids.» Der Kanton Bern weiss nun aber, dass bei tibetischen Asylsuchenden die Durchführung des Vollzugs der Wegweisung nicht möglich ist.

Gesetze müssen sich immer auch in der Praxis bewähren. Im vorliegenden Fall ist der Praxistest gescheitert. Das ABEV trägt an dieser Situation noch keinerlei Schuld. Es hat aber die Pflicht, dezidiert an die Bundesbehörden zurückzumelden, dass es hier neue Rechtsgrundlagen und Sonderlösungen braucht. Stattdessen klammert sich der Kanton streng legalistisch an Gesetze (wie sie das mit ihrer Pressemitteilung machen), die sich längstens als praxisuntauglich erwiesen haben.

Gerade in diesem Fall mutet der Hinweis auf die Rechtsgleichheit bizarr an: Rechtsgleichheit für eine Unrechtssituation?

Nothilfe für drei Monate

Der Bund zahlt den Kantonen eine Nothilfe-Pauschale von 6‘000 Franken pro Person. Diese Pauschale deckt ungefähr drei Monate Nothilfe-Kosten. Der Bund geht also davon aus, dass in dieser Frist eine Rückreise oder Ausschaffung vollzogen werden kann. Daraus kann geschlossen werden, dass das Nothilfe-Regime vom Gesetzgeber auf maximal drei Monate ausgelegt ist.

Nun ist es so, dass schweizweit mind. 50% der Nothilfe-Beziehenden (die Eidg. Migrationskommission, EKM, spricht in ihrem Bericht von Dezember 2019 sogar von rund 60%, S. 6) seit mind. einem Jahr von Nothilfe lebt. Das heisst, diese Menschen sind Langzeitbeziehende (in absoluten Zahlen: ca. 4‘000 in der Schweiz, ca. 250 im Kanton Bern). Diese Zahl ist verstörend hoch und zeigt nochmals, dass die gesetzlich verordnete Repression durch Nothilfe, die dazu da ist, den Vollzug der Wegweisung zu beschleunigen, an der Realität scheitert.

Am Beispiel der tibetischen Asylsuchenden: Seit Jahren leben sie von der prekären Nothilfe. Mit dieser Form der Repression, die für eine kurze Zeit vorgesehen ist, werden Menschen über Jahre gequält. Die Angst vor Verhaftung ist allgegenwärtig, die Lebensmöglichkeiten sind unvorstellbar klein, die Verzweiflung gross und durch die neuste Pressemitteilung noch zusätzlich verstärkt.

Es ist nicht richtig, eine mangelnde Mitwirkung bei der Offenlegung der Identität ins Feld zu führen oder Langzeitbeziehende einfach als renitente Menschen darzustellen, die der Aufforderung, das Land zu verlassen, nicht Folge leisteten. Das ist viel zu kurz gegriffen. Niemand wählt sich diese Situation als Dauerzustand. Die tibetischen Asylsuchenden haben die Mitwirkungspflicht eingehalten, haben versucht, Reisepapiere zu beschaffen und jetzt verbleiben sie in der extrem repressiven Nothilfe.